Auswirkungen von COVID-19
auf laufende Vergabeverfahren und bereits erteilte Aufträge
Die massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens, die mit der Bekämpfung der Coronapandemie einhergehen, lassen auch den Bereich der öffentlichen Aufträge nicht unberührt:
Bieter und Auftragnehmer sind aufgrund der Schließung von Kindergärten und Schulen sowie krankheits- und quarantänebedingten Ausfällen zum Teil nicht in der Lage, Ausschreibungsunterlagen rechtzeitig zu bearbeiten oder bereits erteilte Aufträge ordnungsgemäß auszuführen. Öffentliche Auftraggeber sollten jetzt überlegen, wie sie auf diese Herausforderungen reagieren können.
1. Laufende Vergabeverfahren
Grundsätzlich sind Bieter verpflichtet, eine fristgerechte Bearbeitung derAusschreibungsunterlagen im eigenen Hause sicher zu stellen, sofern die Fristen den gesetzlichen Anforderungen genügen und insbesondere angemessen sind.
Krankheitsbedingte Ausfälle hat der Bieter zu vertreten. Gleichwohl muss der öffentliche Auftraggeber im Hinblick auf die Angemessenheit der Fristen eine Prognoseentscheidung treffen, wie lange eine Angebotsbearbeitung dauert. Vor diesem Hintergrund sind öffentliche Auftraggeber gehalten, ihre ursprünglich festgelegten Fristen in Vergabeverfahren zu
überprüfen und gegebenenfalls angemessen zu verlängern. Selbst wenn mit Blick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen voraussichtlich kein Anspruch von Bietern auf eine Fristverlängerung besteht, so tragen öffentliche Auftraggeber doch das Risiko, dass sie bei zu kurzen Fristen gar keine Angebote erhalten und daher kein Auftrag erteilt werden kann.
Sollten für Vergabeverfahren Ortstermine erforderlich sein, sollten diese nur in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt durchgeführt werden und auch nur dann, wenn die Objekte weitgehend leer sind – wie zurzeit Schulen und Kindertageseinrichtungen.
2. Bereits erteilte Aufträge
Komplexer ist der Umgang mit bereits erteilten Aufträgen: hierbei gilt es zu unterscheiden zwischen der Verlängerung von Ausführungsfristen durch den öffentlichen Auftraggeber, um den Auftragnehmern zu ermöglichen, auf die neuen Herausforderungen durch COVID-19 zu reagieren, und Fällen, in denen Auftragnehmer ihren vertraglichen Verpflichtungen nicht
nachkommen.
a) Verlängerung von Ausführungsfristen
Verlängert der öffentliche Auftraggeber Ausführungsfristen oder verschiebt Ausführungszeiträume, so ist diese nachträgliche Vertragsänderung am Rahmen des § 132 GWB (ggf. in Verbindung mit § 47 UVgO) zu bewerten. Danach erfordern wesentliche Vertragsänderungen eine Neuausschreibung des Auftrags. Wann eine wesentliche Vertragsänderung vorliegt, ergibt sich insbesondere aus den Regelbeispielen des § 132 Abs.1 GWB. Dieser nennt keine Fristverlängerungen. Denkbar wäre es aber, diese Vertragsänderungen unter den Fall der Verschiebung des Gleichgewichtes des Auftrags zu subsumieren. Eine solche wesentliche Vertragsänderung führt aber nicht zu einer Neuausschreibungspflicht, wenn ein Fall des § 132 Abs.2 GWB vorliegt. Hier wird davon ausgegangen werden können, dass die Ziffer 3 erfüllt ist. Demnach ist eine Änderung eines bestehenden Vertrages zulässig, wenn die Änderung aufgrund von Umständen erforderlich geworden ist, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht nicht vorhersehen konnte, und sich aufgrund der Änderung der Gesamtcharakter des Auftrags nicht verändert. Daher sollten in den meisten Fällen Fristverlängerungen und Terminverschiebungen vergaberechtlich unbedenklich sein. Allerdings sind Änderungen nach § 132 Abs.2 Nr.3 GWB im EU-Amtsblatt bekannt zu machen. Öffentliche Auftraggeber sind daher gut beraten, Vertragsänderungen aufgrund der COVID-19-Pandemie zeitnah an die Auftragsdatenbank der EU als Bekanntmachung über eine Vertragsänderung zu kommunizieren. b) Leistungsmängel durch den Auftragnehmer Leisten Auftragnehmer aufgrund von internen Ausfällen nicht oder nur zu spät, so richten sich die Ansprüche der Auftraggeber zunächst nach den allgemeinen Vorschriften des Zivilrechts. Diese werden gerade im öffentlichen Auftragswesen wesentlich durch die vom öffentlichen Auftraggeber gestellten Vertragsbedingungen bestimmt. Das sind in aller Regel die VOB/B für Bauleistungen und die VOL/B für Dienst- und Lieferleistungen. Beide Vertragswerke sollen „in der Regel“ in den Vertrag einbezogen werden und enthalten jeweils eine Klausel zur Anpassung der Vertragsfristen im Falle von höherer Gewalt. Danach sind die Vertragsfristen angemessen zu verlängern, wenn der Auftragnehmer durch höhere Gewalt (zu der nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch Pandemien zählen) an einer Ausführung des Vertrages gehindert ist. Sowohl im Bau- wie auch im Dienst-/Lieferleistungsbereich haben die Vertragsparteien nach einer mehr als drei Monate dauernden Behinderung die Möglichkeit, den Auftrag zu kündigen.
3. Fazit
Die COVID-19 Pandemie stellt öffentliche Auftraggeber und deren Auftragnehmer vor neue Herausforderungen bei der Auftragsvergabe und Vertragsabwicklung. Das bestehende Vertrags- und Vergaberecht hält aber hinreichende Möglichkeiten bereit, um auf diese Veränderungen zu reagieren ohne eine Neuausschreibung vornehmen zu müssen. Öffentliche
Auftraggeber sollten jetzt in Abstimmung mit den Auftragnehmern und Bietern ermitteln, welche Fristen verlängert werden können und dies hinreichend kommunizieren. Daneben sind Fördermittelempfänger gut beraten, zeitnah Anträge für die Verlängerung von
Bewilligungszeiträumen zu stellen.
Rückfragen beantwortet unser Kollege:
André Siedenberg, Tel.: 0211 430 77 275, Siedenberg@KommunalAgentur.NRW